Zur Leistungsfreiheit des Transporthaftpflichtversicherers wegen Obliegenheitsverstosses des Transportunternehmers

KG Berlin, Beschluss vom 13.04.2007 – 6 U 20/07

Zur Leistungsfreiheit des Transporthaftpflichtversicherers wegen Obliegenheitsverstosses des Transportunternehmers

Tenor

In Sachen S… D… – u. L… GmbH ./. K… -L… V… s-AG weist der Senat darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da er der Auffassung ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert.

Gründe
1
Der Klägerin steht kein Deckungsschutz aus der bei der Beklagten abgeschlossenen Verkehrshaftungsversicherung wegen des Verlustes ihrer Ladung aufgrund des Diebstahls des am 19. 8. 2005 in einer Parktasche der R… -D… -S… in B… abgestellten Aufliegers mit den darauf befindlichen, für den Transport nach Großbritannien vorgesehenen Chassi-Teilen für Rover im Wert von 53.297,20 Euro und der sich daraus ergebenden Frachtführerhaftung gegenüber ihrem Auftraggeber und Herstellerin, der Firma F.. A… GmbH in E…, zu. Denn die Beklagte beruft sich zu Recht auf ihre Leistungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. Ziffer 11.1.3 und 11.3.1 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Speditions-Haftungsversicherung (AVB SH).

2
Gemäß Ziffer 11.1.3. AVB SH obliegt es dem Versicherungsnehmer, vor Eintritt des Versicherungsfalls für die Sicherung beladener Kraftfahrzeuge, Anhänger und Wechselbrücken/Container gegen Diebstahl oder Raub zu sorgen, insbesondere auch zur Nachtzeit, an Wochenenden und Feiertagen. Gegen diese Obliegenheit hat die Klägerin verstoßen, indem sie es unterließ, den Fahrer S…, der den beladenen Auflieger am Freitagnachmittag abgekoppelt hat, um die Zugmaschine zu waschen, und mit der Zugmaschine nach Hause fuhr, um erst am Sonntagabend gegen 22.00 Uhr vor Fahrtantritt den Auflieger wieder anzuhängen, darin zu unterweisen, dass ein beladener Auflieger niemals ungesichert und unbewacht auf öffentlichem Straßenland abgestellt werden darf, erst recht nicht – wie hier – für einen Zeitraum von über zwei Tagen.

3
Die Klägerin behauptet zwar unter Benennung des Zeugen W… C…, ihr Personal angewiesen zu haben, Fahrzeugzüge im öffentlichen Straßenland grundsätzlich nur verbunden, d.h. einen Auflieger niemals alleine, abzustellen. Ihr diesbezügliches Vorbringen ist jedoch auch in der Berufungsbegründung ohne Substanz. Denn obwohl die Beklagte bereits im Schriftsatz vom 7.12.2006 gerügt hat, dass es an einer inhaltlichen Beschreibung der angeblichen Dienstanweisung fehlt und die Klägerin schriftliche Anweisungen an ihre Fahrer nicht vorzuweisen vermag, und obwohl das Landgericht im angefochtenen Urteil die Behauptung der Klägerin als nicht ausreichend substantiiert bezeichnet hat, trägt die Klägerin nicht vor, wer innerhalb ihres Betriebes wem in welcher Form Dienstanweisungen welchen Inhalts erteilte. Es ist demzufolge gemäß § 138 Abs. 3 ZPO die Behauptung der Beklagten zugrunde zu legen, wonach es entsprechende Dienstanweisungen im Betrieb der Klägerin nicht gab. Dieses Vorbringen stimmt mit dem Inhalt der schriftlichen Stellungnahme des Fahrers S… vom 23.8.2005 (Teil des Anlagenkonvoluts K 4) überein, und ist gestützt auf die Behauptung der Beklagten, sowohl die Mitarbeiterin K… als auch der Geschäftsführer selbst hätten gegenüber Mitarbeitern der Beklagten bestätigt, dass es kein generelles „Absattelverbot“ gegeben habe. Eine entsprechende Unterweisung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Fahrer S… nach dem Vorbringen der Klägerin die Anweisung gehabt habe, das beladene Fahrzeug zu waschen und bis zum Fahrtantritt am Sonntagabend vor seinem Haus abzustellen. Diese Anweisung impliziert zwar, dass der gesamte Sattelzug vor dem Haus abgestellt wird. Sie bezieht sich jedoch vornehmlich auf den Abstellort über das Wochenende und macht Anweisungen und Belehrungen über Sicherheitsvorkehrungen im Verlauf der Ausführung des Transportauftrages durch den Fahrer gerade nicht entbehrlich, da das Abstellen des gesamten Sattelzugs in einer Wohnstraße einer Einfamilienhausgegend ohne Reservierung eines Parkplatzes nicht generell gewährleistet ist, vielmehr ausreichenden und nicht durch andere Fahrzeuge belegten Parkraum auf der öffentlichen Straße vorausgesetzt hätte, und mit einer Anweisung zur Überwachung nicht verbunden war. Verhaltensanweisungen für den Fall, dass ein Waschen des gesamten Sattelzuges nicht möglich und vor dem Haus des Fahrers kein ausreichender Parkraum vorhanden sein sollte, hat sie ihm nicht an die Hand gegeben.

4
Da der Fahrer S… lediglich die Zugmaschine und nicht den Auflieger vor seinem Haus abgestellt hat, und dort nicht gesondert die Ladung aus dem Auflieger entwendet wurde, kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin mit der von ihr behaupteten Einzelanweisung im Übrigen ihrer Obliegenheit, für die Sicherung der Ladung vor Diebstahl zu sorgen, genügt hätte.

5
Die Klägerin hat sich von dem gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 vermuteten Verschulden nicht entlastet. Denn das Unterlassen einer Dienstanweisung über ein generelles Absattelverbot stellt ein grob fahrlässiges Organisationsverschulden dar. Das Verschulden entfällt auch nicht deshalb, weil Ziffer 11.1.3. keine Beispiele für die zu ergreifenden Sicherungsmaßnahmen enthält. Vielmehr wird ein durchschnittlicher geschäftskundiger Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Versicherungsbedingungen erkennen, dass ihm die vorgenannte Klausel aufgibt, für eine ordnungsgemäße Sicherung beladener Fahrzeuge zu sorgen und insbesondere nachts eine ausreichende, angemessene Bewachung sicherzustellen (BGH VersR 2005, 266; VersR 2003, 445 unter II.3.). Aus der Formulierung „zu sorgen“ wird er schließen, dass er den Fahrer mit der Ladung nicht einfach sich selbst überlassen darf, sondern Anweisungen für das Verhalten bei Fahrtunterbrechungen erteilen muss (BGH aaO; OlG Saarbrücken OLGR Saarbrücken 2003, 456). Welche Sicherheitsvorkehrungen der Transportunternehmer zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung, das ihm anvertraute Transportgut während der Beförderung vor Diebstahl oder Raub zu bewahren, ergreifen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt entscheidend darauf an, ob die getroffenen Maßnahmen den aktuell erforderlichen Sorgfaltsanforderungen genügen. Die angeordneten Sicherheitsvorkehrungen müssen zuverlässig ineinander greifen, verlässlich funktionieren und eine geschlossene Sicherheitsplanung darstellen. Je größer die mit der Güterbeförderung verbundenen Risiken sind, desto höhere Anforderungen sind an die zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen zu stellen (BGH TransportR 1999, 19; 1998, 25; 1984, 182). So hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Spediteur, der das am Montag vom Transportunternehmer abzuholende Fahrzeug bereits am Freitag beladen will, für eine sichere Unterstellgelegenheit oder sonst für eine verlässliche Bewachung des Fahrzeugs sorgen muss (BGH Transportrecht 1996, 72).

6
Da vorliegend der Fahrtantritt des beladenen Fahrzeugs erst nach einem Zeitablauf von über zwei Tagen vorgesehen und das Fahrzeug mit der Ladung bereits in die Obhut des Fahrers gegeben wurde, hätte es angesichts der sich hieraus ergebenden, auf der Hand liegenden Gefahren detaillierter Anweisungen und Vorkehrungen bedurft, wie das beladene Fahrzeug in diesem Zeitraum vor Diebstahl geschützt werden soll. Dem steht nicht entgegen, dass die Beladung „nur“ aus vorgeformten, für Dritte nicht ohne weiteres verwendbaren Chassi-Teilen bestand. Denn immerhin handelte es sich um Stahlblech, das wieder verwendet werden kann; auch Blech (vgl. BGH VersR 2003, 445) – selbst Schrottteile (vgl. BGH VersR 2005 aaO) – sind vor Diebstahl nicht sicher. Unabhängig davon war jedenfalls durch das Absattelverbot von vornherein zu vermeiden, dass die Ladung durch das gesonderte Abstellen des selbst diebstahlsgefährdeten Aufliegers den Dieben quasi zum Abtransport dargeboten wird.

7
Den Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 6 Abs. 2 VVG, Ziffer 11.3.1 AVB SH hat die Klägerin nicht angetreten. Denn die Klägerin behauptet nicht und es ist auch nicht ersichtlich, dass sich der Fahrer S… über eine eindeutige generelle Dienstanweisung, den Auflieger nicht abzukoppeln und unter keinen Umständen unbewacht stehen zu lassen, hinweggesetzt hätte.

8
Ob die Beklagte binnen Monatsfrist seit Kenntnis der Umstände des Diebstahls gekündigt hat, ist unerheblich, da das Kündigungserfordernis gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 VVG in Ziffer 11.3.1. AVB SH abbedungen wurde und gegen die Wirksamkeit der Klausel keine Bedenken bestehen (vgl. BGH VersR 2005, 266).

9
Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den vorstehenden Hinweisen binnen zweier Wochen Stellung zu nehmen und ggfs. – in ihrem Kosteninteresse – die Berufung zurückzunehmen.

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